
Rede zur Ausstellungseröffnung Holzschnitte 17.10.2025
43. Ausstellung in der vor 25 Jahren eingeweihten Neuen Galerie im Museum Niemeyer-Holstein
2010 zwei Ausstellungen zur Druckgrafik ONH auch eine weitere, eine gemeinsame Ausstellung Günter Niemeyer und ONH
Dank für die finanzielle Förderung an das Land Mecklenburg Vorpommern und an den Träger des Hauses dem Landkreis Vorpommern-Greifswald.
Dank bei dem Redner Tobias Wellemeyer und bei Frank–Immo Zichner für die musikalische Umrahmung.
Um mich auf diese Ausstellung vorzubereiten, griff ich nach dem Buch „Gedruckte Kunst“, welches 1984 im Verlag der Kunst, Dresden erschien, geschrieben von Rudolf Mayer; uns bekannt durch seine Publikationen über Hap Grieshaber, Anatoli Kaplan, Carl Friedrich Claus, Gerhard Altenburg, Herrmann Glöckner und Otto Niemeyer-Holstein.
„Zu den alten Wirkungs- und Gestaltungsmitteln der Menschheit zählt die Fähigkeit des Druckens; seit über einem Jahrtausend wird sie in immer neuen Formen genutzt.“
Aus Stempeln entwickelte sich im 6. Jahrhundert in China der Buchdruck, ein halbes Jahrhundert vor vergleichbaren Anwendungen in Europa, das älteste uns bekannte gedruckte Bild entstand im 9. Jahrhundert ebenda.
„Für die Bilder brachte die Fähigkeit des Druckens nicht nur die Vervielfältigung, sie wurde zur eigenen Kunst. In den Händen der Maler, Grafiker und Handwerker entstanden spezielle Verfahren, Ausdrucksweisen, Anwendungsgebiete. Vergleichbar dem Nutzen des Buchdrucks für Literatur und Wissenschaft, brachte der Bilddruck eine Umwälzung der visuellen Kultur, und er verwandelte das alte Verhältnis des Menschen zum Bildwerk, zu Kunst und Kunstgeschichte.“
„Schon früher waren Bilddrucke meist wohl japanischer Herkunft nach Europa gelangt; sie hatten nur wenig Beachtung gefunden. Erst mit der Mode das Japonismus, ausgelöst 1867 durch eine Abteilung in der Weltausstellung in Paris und getragen durch eine gewisse Affinität zu modernen Strömungen, öffneten sich die Augen der Künstler und Kunstfreunde für solche Bilder. Man war fasziniert von der sich hier erweisenden so formenreichen Kultur einer polychromen grafischen Kunst.“
Im Esszimmer von Claude Monet in Giverny befinden sich an die 50 japanische Holzschnitte.
„Die frühen Versuche einer modernen Grafik in Farben, die um 1885 einsetzen und dann zu den Höhepunkten bei Toulous-Lautrec, Bonnard, Vuillard oder Munch führten, waren offenkundig angeregt durch diese Eindrücke. Flächige, mit Wasserfarben gedruckte Holzschnitte wurden zu einem festen Typus der gedruckten Kunst.“
Bei ONH befinden sich in der Klause und in der Sammlung Japanische Holzschnitte, Chinesische Holzschnitte, die belegen, daß er sich mit der asiatischen Druckkunst auseinandersetzte ….
Jetzt möchte ich ONH zu Wort kommen lassen. In dem Buch „Lüttenort“ von Achim Roscher sind die Entstehungsgeschichten zu den Holzschnitten „Wäsche in Lüttenort“ (Seite 163) und der „Zweifler“ (Seite 211) erhalten geblieben.

Insgesamt sind rund 200 druckgrafische Arbeiten: Holzschnitte, Radierungen, Lithografien von ONH erhalten geblieben; 25 Holzschnitte.
Otto Niemeyer-Holstein schuf im Zeitraum von 1918 bis 1927 seine ersten Grafiken, fünf Radierungen und etwa zehn Holzschnitte. Darunter die beachtenswerten Blätter „Achtersteven“ und „Schiffswrack“.
„Es folgten 1956 und 1957 vierzehn Holzschnitte. Sämtlich in wenigen Exemplaren selbst gedruckt, die als großer Wurf von der künstlerischen Kraft des nun Siebzigjährigen künden. Bleiben allein diese wenigen Blätter als Zeugnis seiner Kunst, so würden sie Otto Niemeyer-Holstein stets als bedeutenden Grafiker ausweisen. Von deutschen Expressionisten hat er den großzügigen, ganz auf die Fläche bezogenen Schnitt übernommen. Die große Form dominiert, und doch bleibt insgeheim in Nuancen und Modulationen der Maler in jedem Blatt anwesend.“ (Gudrun Schmidt in „Werkverzeichnis der Druckgrafik“, Lüttenort 1989)
Lassen Sie mich noch einmal zurückkehren zu Rudolf Mayer und den Anfängen des Holzschnittes in Asien. 1962 reiste Rudolf Mayer nach Vietnam und besuchte das Dorf Dong-ho, um dort die letzten erhaltenen Werkstätten zu besuchen, die Tet-Bilder in volksnaher Formensprache in Form von Farbholzschnitten herstellten. Zwei Werkstätten existieren noch heute. Tet-Bilder sind Glückbringer, die zwischen den Jahren in den Häusern aufgehängt werden. Rudolf Mayer war es damals gelungen 10 Farbholzschnitte aus Dong-ho im Verlag der Kunst herauszubringen.
Mit einer antiquarisch erstandenen Mappe möchte ich Sabine Curio zu dieser Ausstellung gratulieren.
Franka Keil, Lüttenort, den 17.10.2025
Vorherige Ausstellungen
12. April - 12. Oktober 2025
„Trotz alledem! – Otto Niemeyer-Holstein und sein Freundeskreis in der Zeit des Nationalsozialismus“
Kunst der Gesellschaft 1900 bis 1945
hieß die Ausstellung, die 2022 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen war. Neben den bekannten Werken des Expressionismus wurden bisher oft unbeachtete Denkweisen und Anschauungen einbezogen, die unter folgenden Überschriften zusammengefaßt wurden: Traumwelten, Gesichter der Zeit, Der scharfe Blick, Stadtsplitter und Leben und Reform. In den Schriften zur Ausstellung war zu lesen: „Aufgrund der Vielfalt der Themen und erweiterten Perspektiven lassen sich die Ausstellungskapitel als Prismen verstehen, in denen sich die Strahlen der Kunstgeschichte brechen. Untersucht wird, wie damalige Kunstschaffende auf die historischen Entwicklungen reagierten und welche Position sie dabei einnahmen.“
Malerei des Expressiven Realismus
Otto Niemeyer-Holstein und viele seiner Weggefährten und Gleichgesinnten gehörten zu einer Gruppe von Künstlern, die zu Beginn der 1930er Jahre im Begriff waren, sich einen Namen zu machen. Ihre Werke, die sich vor allem mit der Landschaft auseinandersetzen, kann man weder dem Spätimpressionismus, noch dem Nachexpressionismus zurechnen. Ihre Kunst ist keinem Stil, sondern einer künstlerischen Grundhaltung verbunden, dem Expressiven Realismus: Für die Künstler dieser Generation war der Wunsch entscheidend, das Elementare und Wesentliche der von ihnen erfahrenen Wirklichkeit in ihren Bildern sichtbar zu machen. Die Subjektivität des Erlebens wurde von ihnen als Voraussetzung für die Annäherung an ein allgemeingültiges Wesen der Realität begriffen. Mit dieser existentiellen Anforderung an Kunst wird verständlich, dass die Vertreter des Expressiven Realismus ihre Malerei nicht an bestimmte Stile, Programme oder Ideologien gebunden sahen.
Die verschollene Generation
Die Vertreter des Expressiven Realismus gehören, wie die meisten der um 1900 Geborenen, zu einer relativ unbekannten Generation von Künstlern. Dies sagt jedoch wenig aus über ihren künstlerischen Rang. Stattdessen ist die Ursache ihres Verschollenseins in der radikalen Unterbrechung der Kunstentwicklung durch den Nationalsozialismus zu suchen.
Die jungen Künstler, die sich in der Zeit der Weimarer Republik zu etablieren begannen, waren im Nationalsozialismus verfemt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sie sich in beiden deutschen Staaten mit Kunstentwicklungen konfrontiert, die ihnen kaum Anknüpfungspunkte für eine größere Popularität boten: Für die einen waren ihre Werke nicht realistisch genug, für die anderen zu wenig abstrakt. Aber auch eine ganze Generation von Galeristen, Kunstkritikern und Kunstsammlern war verschwunden – Zeitzeugen, die die Bedeutung der expressiv-realistischen Malerei fernab eindeutig bestimmbarer Stile erkannt hatten. Erst jetzt, 100 Jahre später, beginnt man, diese Malerei in ihrer vollen Bedeutung wiederzuentdecken.
Die Verdrängung der Moderne im Nationalsozialismus
Künstler der Moderne hatten zwischen 1933 und 1945 aufgrund der Gleichschaltungspolitik aller Lebensbereiche* unter extremen Einschränkungen zu leiden. So waren z.B. Ausstellungen ohne Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste offiziell unmöglich. Auch Bezugsscheine für Ölfarben erhielten nur Mitglieder. Manche, die das Land nicht verließen, suchten nach Wegen, ihrem Stil treu zu bleiben, ohne sich dem Regime zu beugen.
Ein Kapitel der deutschen Kunstgeschichte, das auch auf der Insel Usedom stattfand. In Folge dessen, daß 1937 Werke von Otto Niemeyer-Holstein in Museen in Kiel, Duisburg und Chemnitz als entartet beschlagnahmt und vernichtet wurden, zog sich ONH mit seiner als Halbjüdin diskriminierten Frau Annelise und seinen beiden Söhnen Peter (geb. 1921) und Günter (geb. 1937) auf die Insel Usedom zurück. Auch fünfzehn Künstlerfreunde von ONH ereilte dasselbe Schicksal, als entartet diffamiert zu werden. Einundzwanzig Werke dieser Weggefährten befinden sich in der Kunstsammlung Otto Niemeyer-Holsteins; u.a.: von Hans Jüchser, Ervin Bossányi, Marc Chagall, Wilhelm Lehmbruck, Heinrich Ehmsen, Oskar Kokoschka, Gerhard Marcks und Max Kaus.
Von August bis November 1937 wurden in Deutschland in der „Aktion entartete Kunst“ 16.558 Werke der bildenden Kunst aus Museen und Privatsammlungen beschlagnahmt. Als „entartet“ galten den nationalsozialistischen Machthabern ungegenständliche, expressio-nistische und sozialkritische Werke sowie solche von Künstlerinnen und Künstlern jüdischer Abstammung. 1.200 Künstler waren betroffen, sie wurden mit Ausstellungs- und Malverboten belegt. Viele der beschlagnahmten Werke wurden in der Propaganda-ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt und im Ausland divisenbringend versteigert. 4829 Gemälde, Skulpturen, Aquarelle und Grafiken wurden von den Nationalsozialisten als wertlos erachtet und zerstört.
*Gleichschaltung bezeichnet die erzwungene Eingliederung aller sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kräfte in die einheitliche Organisation einer Diktatur, die sie ideologisch vereinnahmt und kontrolliert. Mit der Gleichschaltung strebte man an, alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur gemäß den nationalsozialistischen Vorstellungen zu reorganisieren. Dies hatte die Eingliederung vieler bestehender Organisationen in die NS-Verbände zur Folge. Der autoritäre Korporatismus ist eine von staatlicher oder institutioneller Seite aufgezwungene Form. Seine Merkmale sind eine begrenzte Anzahl gebildeter Zwangsverbände mit verbundener Zwangsmitgliedschaft. Die Arbeit der Verbände ist bereits auf ein fest vordefiniertes „Gemeinwohl“ der Gesellschaft ausgerichtet. Es ergibt sich also nicht wie im Pluralismus aus einem Gruppenkonsens, sondern durch staatliche Festsetzung.
19. Oktober 2024 - 6. April 2025
„Freischaffende Künstler: Dieter Goltzsche und Otto Niemeyer-Holstein"
Goltzsche (geb. 1934) hatte in Dresden bei Hans Theo Richter (1902–1969) und Max Schwimmer (1895–1960), der ihn 1958/59 als Meisterschüler aufnahm, studiert und arbeitet seit 1960, nachdem er sich in Berlin niedergelassen hatte, als freischaffender Künstler. Er gehörte zu den bedeutendsten Künstlern in der DDR, dem es gelang, auch international bis heute erfolgreich wahrgenommen zu werden. Dies liegt an seiner unbedingten Konsequenz sich von kulturpolitischen Forderungen freizumachen. "Meine persönliche erste Begegnung mit Nino war etwa 1964. Wir besuchten ihn in Lüttenort. Niemeyer war ein unerreichtes Vorbild als wirklich Freischaffender – keine Bindung an Betriebe, Aufträge oder ähnliches." (Goltzsche 2017)
Die Ausstellung ist ein Beleg für die gegenseitige Stärkung von Künstlerkollegen untereinander, zu einer anderen Zeit. Hier liegt der inhaltliche Schwerpunkt in der konsequenten Verfolgung eigener künstlerischer Ziele entgegen äußerer Umstände und Bevormundung. "Der Künstler will frei sein in der Kunst" schrieb ein Mitarbeiter der Staatssicherheit in den Eröffnungsbericht zur Personenobservierung von Otto Niemeyer-Holstein.
Franka Keil, September 2024
